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Die Stiftung zeichnet Personen und Institutionen
aus, die sich durch freie Meinungsäusserung und
mutiges Handeln in der Christenheit exponieren.

 

 

Herbert Haag Preis 2024:

Aufklären, aufarbeiten, aufbrechen

Medienmitteilung der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche

 

Der Herbert Haag Preis 2024 geht an Norbert Lüdecke, emeritierter Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, sowie an die Schweizer Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet. Norbert Lüdecke wird für sein Bemühen als Theologe und Publizist ausgezeichnet, Aufklärung zu vermitteln über die absolutistischen Voraussetzungen des katholischen Kirchenrechts. Er versteht sein Engagement als Appell zu Mündigkeit und Illusionslosigkeit. Doris und Silvia Strahm werden gemeinsam als Pionierinnen der feministischen Theologie in der Schweiz geehrt. Ihnen geht es um die Aufarbeitung dessen, was Frauen angetan wurde. Gleichzeitig denken sie über die angestammten Grenzen des Kirchlich-Religiösen hinaus.

 

 

Norbert Lüdecke habilitierte sich nach dem Studium in Bonn, Strassburg und Würzburg in Kirchenrecht. Er nahm Lehraufträge und eine Honorarprofesssur an der Universität Frankfurt am Main und in Münster wahr. 1998 bis 2022 war er Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

 

Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel zu Grundlagen und Grundproblemen des Kirchenrechts. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch sein Buch: Die Täuschung. Haben die Katholiken die Kirche, die sie verdienen?, Darmstadt 2021.

 

 

Aufdeckungstheologie

 

«Die Täuschung» besteht nach Norbert Lüdecke darin, dass Reformversuche der Kirche wie der gegenwärtige Synodale Weg oder die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik (1971–75) «Partizipationsattrappen» sind. Katholikinnen und Katholiken bekämen zwar den Eindruck, mitreden zu dürfen, entscheiden dürften sie aber nicht.

 

Seine theologische Arbeit als akademischer Lehrer, Publizist und Teilnehmer an öffentlichen Debatten sieht Norbert Lüdecke als Plädoyer für einen illusionslosen, aufgeklärten Blick: «Aufklärung ist die Voraussetzung für Emanzipation». So etwa sei Gleichheit in der Kirche nur eine in der Würde, aber anders als im Staat keine Gleichheit im und vor dem Gesetz. Die Notwendigkeit, dass die Würde mit Gleichheit und Gleichberechtigung verbunden sein muss, wird im offiziellen katholischen Kirchenrecht ignoriert.

 

 

Das Kirchenrecht geht von einer universalen Gewalt aus

 

Norbert Lüdeckes Analysen legen offen, dass das geltende Kirchenrecht in seiner Gesamtgestalt wie in seinen einzelnen Regelungen eine absolutistische Rechtssetzung ist, die einem zeitgenössisch-demokratischen Rechtsverständnis diametral entgegengesetzt ist. Den Grund dafür sieht er in jener lehramtlichen Ideologie, die im geltenden Kodex «die nicht mehr änderbare absolute rechtliche Höchststellung des Papstes in Lehre und Leitung» festschreibt. Es geht letztlich «um eine absolute, alle Gewalten vereinigende rechtmässige Regierungsgewalt über die gesamte Kirche wie auch die einzelnen Diözesen und jeden einzelnen Gläubigen, also um eine universale Gewalt».

 

Die Verleihung des Herbert Haag Preises an Norbert Lüdecke würdigt diese Aufklärungs- und Aufdeckungstheologie. Der Preisträger hat damit einen zentralen Stolperstein für kirchliche Reformbemühungen in den Vordergrund gerückt. Er fordert dazu auf, noch dickere Bretter zu bohren und Illusionen aufzugeben, die ohnehin nur Frustrationen erzeugen. Und er ruft in Erinnerung: Das Rechtssystem der römisch-katholischen Kirche ist nicht von einer biblischen, sondern von einem vorchristlichen römischen Rechtsdenken und Hierarchieverständnis geprägt (so der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann). Es ist nicht reformierbar.

 

Pionierinnen feministischer Theologie

 

Mit dem Herbert Haag Preis 2024 werden auch Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet ausgezeichnet. Der Preis ehrt sie für ihr jahrzehntelanges, gemeinsames Engagement als Pionierinnen der feministischen Theologie in der Schweiz. So waren beide unter anderem Mitgründerinnen, Herausgeberinnen und langjährige Redaktorinnen der feministisch-theologischen Zeitschrift FAMA sowie Mitgründerinnen der IG Feministische Theologinnen der Schweiz.

 

Doris Strahm hat mehrere Grundlagenwerke zur feministischen Theologie veröffentlicht – etwa eine Einführung in die feministische Theologie («Aufbruch zu neuen Räumen») oder Bücher zur Gestalt von Jesus-Christus aus einer feministisch-theologischen Perspektive («Vom Rand in die Mitte»; «Vom Verlangen nach Heilwerden»). Ausserdem war sie als Mitherausgeberin am «Wörterbuch der Feministischen Theologie» beteiligt. Doris Strahm hat sich darüber hinaus für die internationale Vernetzung von Theologinnen engagiert. So hat sie die 1986 gegründete Europäische Gesellschaft für Theologische Forschung von Frauen (ESWTR) mitaufgebaut.

 

 

Über Grenzen hinaus denken

 

In ihren theologischen Arbeiten hat sie europäisch-nordamerikanische Begrenzungen überschritten und die Sicht von Theologinnen aus Lateinamerika, Afrika und Asien eingebaut und bekannt gemacht. Vor diesem Hintergrund ist der interreligiöse Dialog («Damit es anders wird zwischen uns»), dem sich Doris Strahm verpflichtet weiss, eine konsequente Fortsetzung ihrer Auseinandersetzung mit kontextuellen und postkolonialen Ansätzen feministischer Theologie. Als Mitbegründerin des Interreligiösen Think-Tanks (2008) trägt sie dazu bei, dass Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in den gesellschaftlich-politischen und religiösen Diskurs eingebracht werden.

 

Doris Strahm ist es ein Grundanliegen, über Grenzen hinaus zu denken: «Über Grenzen hinaus denken war und ist ein wichtiges Motiv meiner Arbeit: über die Grenzen einer dogmatisch verengten Glaubenslehre, über die Grenzen einer patriarchalen und androzentrischen christlichen Theologie, über die Grenzen einer eurozentrischen feministischen Theologie, über die Grenzen der eigenen Religion hinaus.»

 

 

Aufarbeiten, nicht nur lamentieren

 

Silvia Strahm war neben ihrer Erziehungsarbeit als Mutter von zwei Kindern von 1995–2001 als Co-Leiterin der Fachstelle Feministische Theologie der Frauenkirche Zentralschweiz tätig. Danach hat sie sich jahrelang in der Begleitgruppe der Fachstelle engagiert. Seit den 1970er Jahren bis heute ist sie Mitglied des Arbeitskreises Feministische Theologie Luzern. Sie hat sich einen Namen gemacht mit ihren regelmässigen Kolumnen in der Neuen Luzerner Zeitung und mit ihren Beiträgen in Zeitschriften wie Aufbruch, FAMA, Saemann und Wendekreis (vgl. dazu auch ihr Buch: Kopfüber in den Tag. Ein kleines ABC für AlltagsdenkerInnen).

 

Für Silvia Strahm ist feministische Theologie eine «kritische Theologie, die mit einem feministischen Blick fragt: Wie sehen die Kirchen, die christliche Theologie und auch die Bibel Frauen? Was haben sie zu ihrer Unterdrückung beigetragen? Sie untersucht Frauenverachtung in der Theologie, die Verdrängung von Frauen aus den entstehenden Ämtern im frühen Christentum, biblisch begründete Frauenfeindlichkeit und vieles mehr. Es geht um Aufarbeitung dessen, was die Kirche, insbesondere die katholische, Frauen angetan hat.»

 

Sie habe sich allerdings nie nur am Patriarchat abgearbeitet: «Tagungen und Gottesdienste waren auch immer lustvoll, wir haben experimentiert mit Sprache, Körperarbeit, Tanz … Es ging immer auch darum, etwas Positives, Kräftigendes zu tun, nicht nur zu lamentieren».

 

Diese Sichtweise drückt sich in der 2022 erschienen Publikation «Mächtig stolz» aus. Doris und Silvia Strahm haben sie unter Beteiligung von zahlreichen Frauen herausgegeben. Anlass dazu waren 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz.

 

Die Preisverleihung findet am Sonntag, 3. März 2024, 15.30 Uhr in der Lukaskirche, Morgartenstrasse 16, Luzern, statt.

 

Porträts der Preistragenden können angefordert werden bei der Herbert Haag Stiftung:
caroline.gamma@herberthaag-stiftung.ch

 

 

Luzern, 19. September 2023 / Odilo Noti

 

 

 

Hinweise

Rückfragen zur Preisverleihung nimmt der Präsident der Stiftung gerne entgegen:

Odilo Noti, Wachtelstrasse 17,
CH- 8038 Zürich
Mobile:   +41 79 686 87 43
E-Mail:     odilo.noti@herberthaag-stiftung.ch

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